Nie wieder

Vor ein paar Jahren sind wir in den Ferien mit unserem Wohnmobil die polnische Ostseeküste entlang gefahren und haben immer mal wieder Halt gemacht in größeren, sowie kleineren Städten. Da es schwierig ist, dort diesem Thema zu entgehen, haben wir unterwegs auch viele Gedenkstätten zum zweiten Weltkrieg besucht. 2 davon sind mir besonders in Erinnerungen geblieben: Die Halbinsel Hel und Westerplatte. 

Die Stadt Hel ist genau an der Spitze der Landzunge, die das Aussehen, der polnischen Küste so prägt. Vom Strand aus kann man bis zum Festland und natürlich sind dort auch viele alte, zerfallenen Bunker zu finden. Ansonsten könnte man fast meinen, es sei ein ganz normaler Touri-Ort ...wären da nicht die Statisten gewesen, die in Alliierten-Uniformen durch die Straßen gelaufen und mit alten, restaurierten Militärsfahrzeugen durch die Stadt gefahren. Ich bin mir nicht sicher, ob es dort regelmäßig der Fall ist, oder ob das zu dem Zeitpunkt nur Zufall war, auch, dass am Hel'er Strand an dem Tag der D-Day (Anm.: Ankunft der Alliierten in der Normandie) nachgespielt wurde. Wie gesagt, es ist ein paar Jahre her und ich war vielleicht 14, 15 Jahre alt. Erst da habe ich, und das auch nur am Rande, gemerkt, was für Welten zwischen der Zeit des zweiten Weltkrieges und der heutigen Zeit liegen. Mir war kotzübel. Ich konnte die Statisten, die Militärsfahrzeuge nicht länger ansehen. Ich konnte nicht mehr mit meiner Familie am Strand entlang spazieren, immer mit einem Bunker im Blickfeld. Ich wollte einfach nur noch weg da. Erst da habe ich realisiert, was Krieg bedeutet *könnte*, da die Vorstellungskraft da nicht ausreicht, wenn man nie das Grauen eines Kriegen erleben musste. Was speziell in Hel während des Krieges geschah, werde ich hier nicht weiter ausführen. Wenn es euch interessiert, könnt ihr es ja mal googeln...

So fuhren wir weiter. Als wir all die größeren Orte besichtigt hatten und immer weiter Richtung Osten, durch die Masuren fuhren, machten wir, auf den Wunsch meiner Mutter, bei einer Gedenkstätte bei Danzig Halt. Westerplatte. Was hier geschah, werde ich wohl nicht weiter sagen müssen, denn hier fing es an. Auch hier waren in dem kleinen Waldstück zahlreiche kleine und größere Bunker zu sehen. Manche von ihnen inzwischen gefüllt mit dem Müll der Touristen und mit verschiedenen Graffitis getaggt. So wie auch schon in Hel. Irgendwann öffnete sich das Wäldchen zu der riesigen Wiese, am Fuß eines Hügels, auf dem sich die eigentliche Gedenkstätte befindet. Regelrecht monströs wirkt die riesige Granitsäule auf der Spitze des Hügels. Sie ist tatsächlich alles andere als schön anzusehen, zumindest für mich. Umso wichtiger ist es, den Blick dennoch nicht abzuwenden. Tut man es doch, blickt man herunter auf die große Wiese, wo in großen metallenen Buchstaben a la Hollywood-Sign "Nigdy więcej wojny" zu lesen ist. "Nie wieder Krieg". Jedes mal, wenn ich an diesen Anblick dort, im Sonnenuntergang, denke, bekomme ich bis heute Gänsehaut.

Heute ist der 8. Mai. Der Tag der Befreiung. Der Tag, an dem das, was in Westerplatte seinen Anfang nahm, ein Ende fand. 

Und wenn ich einen Blick auf die politischen Entwicklungen der letzten Jahre wirft, erwischt mich das Schaudern. Eine polnische Partei, die das Gedenken in Propaganda und Patriotismus umwandeln will und dabei Nationalismus kreiert. Europäische Länder, die offenbar den Glauben an ein gemeinsames Europa verloren haben und nun nur noch an sich selbst, oder wenn dann nur an ihre eigenen Interessen und Vorteile denken. Ich weiß nicht, wie es Euch damit geht, aber mir macht das Angst. 75 Jahre in relativem Frieden in Europa sind nicht zustande gekommen, weil jeder sein eigenes Süppchen gekocht hat, sondern weil zusammen an einem Strang gezogen wurde. Die Gefahr, das wieder zu verlieren war und ist jeden Tag da. Wir mussten und müssen jeden Tag dafür arbeiten, dass sich die Vergangenheit nicht wiederholt, auch wenn das vielen vielleicht gar nicht bewusst ist. Doch wer sich sein Leben lang in Frieden und relativem Wohlstand frei entfalten konnte, wer nie in die hässlichen Augen eines Krieges gesehen hat, es höchstens aus Filmen und Erzählungen der Alten kennt, der sollte sich damit auseinandersetzen, was dafür nötig war, das jetzige Leben in der Form zu ermöglichen. 

Dieses Glück hat auch heute nicht jeder. Schaut man auf die derzeitige Weltlage, sieht es schon ganz anders aus. Frieden ist und bleibt ein äußerst fragiler Zustand und ist an vielen Orten nur eine Atempause zwischen zwei Kriegen. Diese wird es immer geben, den der Mensch war schon immer gut darin nach Macht zu streben, egal, wie vielen anderen Menschen es das Leben kosten könnte. Wir dürfen nie vergessen, wie gut wir es hier in Europa, trotz aller Probleme, haben. Wir dürfen nie vergessen, wie viele Opfer es gekostet hat, um heute so leben zu können, wie wir es tun. Wir dürfen nie vergessen: Nie wieder Krieg.


Ein Text zum 8. Mai, dem Tag der Befreiung

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